Msgr. Franz Wilfinger und Susanne Kopeszki

e-mail

Home Startseite Franz Wilfinger Artikel und Gedanken-Anregungen Vorträge-Veranstaltungen Susanne Kopeszki Rundbriefartikel Rezepte Verschiedenes Berufsgemeinschaft-Phh


Msgr. Franz Wilfinger
September 2021
Vater-unser Meditationen 1 (Nach Josef Ratzinger BENEDIKT XVI. 5. Kapitel)
JESUS VON NAZARETH (Erster Teil Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, 5. Kapitel das Gebet des Herrn. S. 162 ff )
Ergriffene ergreifen Im August 2021 fanden sich in den Medien öfters Meldungen, dass sich immer mehr Eltern entscheiden, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken, sondern sie zu Hause selbst zu unterrichten. Gesetzlich ist das möglich, die jährliche Abschluss-Prüfung muss aber in der Schule sein. Natürlich lässt das fragen, ob das dazu nötige Rüstzeug vorhanden ist, sowohl das Wissen, wie auch die pädagogischen Fähigkeiten.
Wenn Profan-Unterricht zu Hause, dann auch Religionsunterricht!
Hier stellen sich dieselben Fragen. Ich habe überlegt, wie man hier unterstützend mitwirken könnte, um zuerst den Erwachsenen die Tiefe und den Reichtum mancher unserer geformten Gebete nahezubringen und zu erschließen, denn: Ergriffene ergreifen. Gerade häufiger gesprochene Gebete, wie das Vaterunser sind in Gefahr, abgegriffene, leere Formeln zu werden; mir fiel dazu das Vaterunser ein. Ich fand eine Hilfe im oben zitierten Buch von Papst Benedikt XVI. Ich versuche im Folgenden, die Gedanken-Anstöße und Anregungen so wieder zugeben, dass sie zunächst Erwachsene zum meditierenden Beten einladen.

Gott kein ferner Unbekannter

Gott ist für an Christus Glaubende kein ferner Unbekannter; er zeigt uns ins Jesus sein Gesicht: in Jesu Tun und Willen lernen wir die Gedanken Gottes und seinen Willen kennen und können darauf dankend antworten, Jesus sagt uns, wie wir beten sollen.
Das Vaterunser ist ein „Wir-Gebet Bei Matthäus [6,5-15] geht dem Herrengebet eine kurze Lehre über das Gebet voraus, die uns vor allem vor Fehlformen des Betens warnen will: Gebet darf nicht Schaustellung vor Menschen sein, es verlangt die Diskretion, die einer Beziehung der Liebe wesentlich ist.
Gott redet jeden Einzelnen mit seinem Namen an, den sonst niemand kennt, sagt uns die Schrift [Off 2,17]. Gottes Liebe zu jedem Einzelnen ist ganz persönlich und trägt dieses Geheimnis der Einmaligkeit in sich, die nicht vor den Menschen ausgebreitet werden kann. Diese wesentliche Diskretion des Betens schließt das gemeinsame Beten nicht aus:
Das Vaterunser ist ein „Wir-Gebet“, und nur im Mit-Sein mit dem Wir der Kinder Gottes können wir überhaupt die Grenze dieser Welt überschreiten und zu Gott hinaufreichen; im Beten müssen sich das ganz Persönliche und das Gemeinschaftliche immer durchdringen.
Die andere Fehlform des Betens, vor der uns der Herr warnt, ist das Geplapper, der Wortschwall, in dem der Geist erstickt. Wir kennen die Gefahr, dass wir gewohnte Formeln hersagen, während das Herz, der Geist dabei ganz woanders sein kann. Sehr wichtig ist daher, dass die Beziehung zu Gott auf dem Grund unserer Seele anwesend ist. Im Gebet nur zu „allen heiligen Zeiten oder nur dann, wenn ich etwas brauche“, ist zu wenig. Das setzt voraus, dass wir diese Beziehung immer wieder wachrufen Wir werden umso besser beten, je mehr in der Tiefe unserer Seele die Ausrichtung auf Gott da ist. Je mehr Gott in uns da ist, desto mehr werden wir in den Gebetsworten bei ihm sein können. Aber umgekehrt gilt auch, dass das aktive Beten unser Mit-sein mit Gott verwirklicht und vertieft.
  Dieses Beten soll vor allem aus unserem Herzen, aus unseren Nöten, Hoffnungen, Freuden, Erleiden, aus der Beschämung über Sünde und Versagen wie aus Dank für das Gute und als Geschenk Erfahrene aufsteigen und so ganz persönliches Beten sein. Aber wir brauchen auch das Anhalten an Gebetsworten, in denen die Gottesbegegnung der ganzen Kirche wie der einzelnen Menschen in ihnen Gestalt gefunden hat. Ohne diese Gebetshilfen wird unser eigenes Beten und unser Gottesbild subjektiv und spiegelt mehr uns selbst als den lebendigen Gott.
Schule des Betens In den Gebetsworten, die zuerst aus dem Glauben Israels (Psalmen) und dann aus dem Glauben der Beter der Kirche aufgestiegen sind, lernen wir Gott und lernen uns selber kennen. Sie sind Schule des Betens und verwandeln und öffnen so allmählich unser Leben. Der hl. Benedikt hat in seiner Regel die Formel geprägt: - mens nostra concordet voci nostrae - Unser Geist muss im Einklang stehen mit unserer Stimme. Normalerweise geht der Gedanke dem Wort voran, sucht und formt das Wort. Aber beim Psalmengebet, beim liturgischen Gebet überhaupt ist es umgekehrt. Das Wort, die Stimme geht uns voraus und unser Geist muss sich dieser Stimme einfügen. Denn aus Eigenem wissen wir Menschen nicht, wie „wir in rechter Weise beten sollen“ [Röm 8,26] Jesus selbst lehrte die Seinen beten.
  Der Evangelist Lukas [11,1] stellt das Vaterunser in den Zusammenhang von Jesu eigenem Beten. Er lässt uns damit an seinem eigenen Beten teilnehmen, er führt uns hinein in den inneren Dialog der dreifaltigen Liebe, zieht sozusagen unsere menschlichen Nöte hinauf ans Herz Gottes. Das bedeutet aber auch, dass die Worte des Vater unser Wegweisungen ins innere Beten sind, Grundorientierungen unseres Seins darstellen, uns nach dem Bild des Sohnes gestalten wollen. Die Bedeutung des Vaterunsers reicht über die Mitteilung von Gebetsworten hinaus. Es will unser Sein formen, uns in die Gesinnung Jesu einüben.
  Einerseits gilt es, möglichst genau auf die in den Evangelien überlieferten Worte hinzuhören, uns aber andererseits gegenwärtig zu halten, dass das Vaterunser aus Jesu eigenem Beten stammt, aus dem Gespräch des Sohnes mit dem Vater. Das bedeutet, dass es in eine große Tiefe jenseits der Worte hineinreicht. Die großen Beter aller Jahrhunderte haben durch ihre innere Einheit mit dem Herrn in die Tiefen jenseits des Wortes hinuntersteigen dürfen und können uns so den verborgenen Reichtum dieses Gebetes weiter erschließen. Aber auch jeder von uns darf sich mit seiner ganz persönlichen Gottesbeziehung in diesem Gebet angenommen und aufgehoben finden. Immer wieder muss er mit seinem „Herzen“ dem vom Sohne her bei uns ankommenden „Wort“ entgegengehen, sich ihm öffnen und von ihm führen lassen. So wird dem Betenden sein eigenes Herz immer tiefer erspüren lassen, wie gerade er auf den vom liebenden Vater eröffneten Dialog antworten darf.
Du-Bitten - Wir-Bitten Matthäus hat uns das Vaterunser so überliefert: Zunächst die Anrede, dann sieben Bitten. Drei dieser Bitten sind Du-Bitten, vier sind Wir-Bitten. In den drei ersten Bitten geht es um die Sache Gottes selbst in dieser Welt; in den vier folgenden Bitten geht es um unsere Hoffnungen, Bedürfnisse und Nöte. Man könnte das Verhältnis der beiden Bitten des Vaterunser mit dem Verhältnis der beiden Tafeln des Dekalogs vergleichen, die im Grunde Entfaltungen des Hauptgebotes – Gottes und Nächstenliebe sind, Weisungen in den Weg der Liebe hinein.
  So wird uns im Vater unser zunächst der Primat (1. Rang) Gottes aufgerichtet, aus dem von selbst die Sorge um das rechte Menschsein folgt. Auch hier geht es zunächst um den Weg der Liebe, der zugleich ein Weg der Bekehrung ist. Damit der Mensch recht bitten kann, muss er in der Wahrheit stehen. Und die Wahrheit ist das „zuerst Gott, Gottes Reich“ [Mt 6,33]. Zuerst müssen wir aus uns selbst herausgehen und uns Gott öffnen. Nichts kann recht werden, wenn wir mit Gott nicht in der rechten Ordnung stehen.
  Das Vaterunser fängt daher mit Gott an und führt uns von ihm her auf die Wege des Menschseins. Wir steigen zuletzt ab bis zur letzten Bedrohung des Menschseins, dem der Böse auflauert – das Bild des apokalyptischen Drachens mag in uns aufsteigen, der Krieg führt gegen die Menschen, „die den Geboten Gottes gehorchen und an das Zeugnis für Jesus festhalten [Off 12,17]. Aber immer bleibt der Anfang gegenwärtig: Vater unser – wir glauben, vertrauen, dass er bei uns ist und dass er uns in der Hand hält, uns rettet.
Vaterunser beim letzten Wort anstimmen
Von einem ostkirchlichen Starez (Geistlichen Vater, Mönch) wird erzählt, dass es ihn drängte, „das Vaterunser immer beim letzten Wort anstimmen zu lassen, damit man würdig werde, das Gebet mit den Anfangsworten - ´Vater unser´- zu beenden.“ Auf diese Weise, so erklärte der Starez, gehe man den österlichen Weg: „Man beginnt in der Wüste bei der Versuchung, man kehrt zurück nach Ägypten, schreitet dann auf dem Exodus durch die Stationen der Vergebung und des Mannas Gottes und gelangt durch den Willen Gottes in das Land seiner Verheißung, das Gottesreich, wo er uns das Geheimnis seines Namens mitteilt: ´Unser Vater´.“

Beide Wege, der aufsteigende und der absteigende, mögen uns daran erinnern, dass das Vaterunser ein Jesusgebet ist, das sich uns vom Verbunden-Sein mit Jesus aufschließt. Wir beten zu dem Vater im Himmel, den wir durch seinen Sohn kennen; und so ist immer Jesus in den Bitten im Hintergrund. Und schließlich – weil das Vater unser ein Jesusgebet ist, ist es ein trinitarisches Gebet: Wir beten mit Christus durch den Heiligen Geist zum Vater.

  andere Beiträge