Msgr. Franz Wilfinger und Susanne Kopeszki

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Paulaner Nachrichten:
September/Oktober 2012
Sehnsucht
Bei meiner Amtseinführung im Jahr 1975 hat mir der damalige Bischofsvikar P. Zeininger auch die Schlüssel der Kirche übereicht. Den diese Geste begleitenden Worten suche ich unter anderem dadurch gerecht zu werden, dass ich am Sonntag um 7 Uhr früh die Kirche aufsperre. Für gewöhnlich ist der Kirchenvorplatz menschenleer.Vor einigen Wochen erhob sich ein Herr von der Bank vor der kleinen gepflegten Grünanlage, kam lächelnd auf mich zu und meinte; "Heute war ich schon vor ihnen da". Um seinem sonntäglichen Morgenvorhaben in der Kirche nachkommen zu können - Kerze anzünden, vor dem Muttergottesbild beten -, braucht es jemand, der ihm die Kirchtüren öffnet.

Wer aber etwa wochentags am späteren Nachmittag das Geschehen am Vorplatz der Kirche betrachtet, dem bietet sich ein anderes Bild: Passanten, Eltern mit Kinderwägen, Radfahrer, Jogger, zur Straßenbahn Eilende. Touristen bleiben stehen, blicken suchend zuerst in ihre Wienkarte, wenden sich dann an Kundig-Scheinende, um sie nach dem Weg zur Oper, zum Karlsplatz oder auch nur zur Schleifmühlgasse zu fragen.

Die offenen Türen unserer Kirche werden dagegen kaum beachtet - nur wenige treten ein. Mit meinen Darlegungen wollte ich zweierlei verdeutlichen .

< als Glieder der Kirche sind wir gesendet, unseren Mitmenschen den Zugang zum Glauben, zu Gott zu ermöglichen, zu erleichtern, zum Eintreten einzuladen - also Türen zu öffnen.
< Andererseits ist aber die Sehnsucht, das Verlangen nach Gott eine wesentliche Voraussetzung, der nachzukommen in der Verantwortung des Einzelnen liegt.
Im Psalm 84,2 wird die menschliche Sehnsucht nach Gott in die Worte gekleidet: "Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn".

Bischof Augustinus (+ 430) umschrieb die Sehnsucht nach Gott mit: "Unruhig ist unser Herz bis es ruhet in dir". (Dieses Wort ist der Grund dafür, dass der hl. Augustinus meist mit einem Herz in der Hand dargestellt wird - so auch an der Kanzelbrüstung unserer Kirche). Mit Nachdruck verweist Augustinus auch in seinem Kommentar zum Johannesevangelium auf die Sehnsucht nach Gott:

  "... (Glauben) mit freiem Willen allein - das ist zuwenig - auch durch die Lust wirst du gezogen. Was heißt das, durch die Lust gezogen werden? Wenn der Dichter Vergil sagt: Einen jeden zieht seine Lust hin, nicht der Zwang, sondern die Lust, nicht die Pflicht, sondern die Freude, mit wie viel mehr Recht dürfen wir sagen, dass der Mensch zu Christus hingezogen wird, wenn er sich an der Wahrheit freut, an der Seligkeit, an der Gerechtigkeit und am ewigen Leben? Denn Christus ist das alles. Haben etwa nur die Sinne des Leibes ihre Lust und ist der Geist ohne Lust?... Gib mir einen Liebenden, und er weiß, was ich sage: gib mir einen, der hungert, gib mir einen, der in der Wüste wandert und Durst hat und sich nach der Quelle der ewigen Heimat sehnt; gib mir einen solchen - und er wird verstehen, was ich sage. Wenn ich aber einen Kaltherzigen frage, so versteht er nicht, was ich sage".
  Antoine des Saint-Exupery (+ 1944) wählt für die Bedeutung der Sehnsucht folgendes Bild:
"Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer."
Ihr Pfarrer Franz Wilfinger


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